Darmkrebs ist eine der häufigsten Krebsarten weltweit. Patienten mit der Diagnose „metastasierender Darmkrebs“ (mCRC) haben oft nur eine geringe Überlebenschance, wobei nur 20 % der Patienten nach der Diagnosestellung länger als 5 Jahre überleben. Außerdem wirken Standardtherapien nicht bei allen Patienten gleich gut, weshalb inzwischen sehr viel Forschung auf dem Gebiet der Darmkrebsbehandlung betrieben wird. Aus diesem Grund hat sich die BioVariance GmbH am REVERT-Projekt beteiligt, welches darauf abzielt die Behandlung von mCRC zu verbessern und zu personalisieren.
Was ist metastasierender Darmkrebs?
Die dritthäufigste Krebsart weltweit ist der Darmkrebs, welcher sich im Dickdarm oder Rektum des menschlichen Körpers bildet. mCRC bezeichnet hierbei die metastasierende Form dieser Krebsart und lässt sich zwischen rechts- und linksseitigem Darmkrebs unterscheiden. Er tritt häufiger bei Männern auf als bei Frauen, wobei Frauen häufiger an der rechtsseitig entstehenden Variante leiden. Der rechtsseitige mCRC agiert deutlich aggressiver und wird begleitet von einer schlechteren Überlebensprognose. Die linksseitige Variante weißt eine bessere Prognose bezüglich des progressionsfreien Überlebens auf. Dies beschreibt, wie lange ein Patient nach der Krebsbehandlung ohne ein erneutes Fortschreiten des Tumors überlebt. Viele mCRC-Fälle lassen sich auf ein hohes Alter des Patienten zurückführen, einer der Risikofaktoren für mCRC. Weitere Risikofaktoren sind ein schlechter Lebenswandel (ungesunde Ernährung, Alkoholkonsum, etc.) und seltener auch genetische Faktoren.
Die Klassifizierung von mCRC-Patienten trifft der Onkologe auf Basis der anatomischen Tumorcharakteristika, dem „Grading“ und „Staging“. Grading beschreibt hierbei, wie ähnlich die Tumorzelle einer normalen Zelle ist. Staging hingegen erlaubt eine Aussage über die Größe und Streufähigkeit des Tumors. Da nicht alle Patienten die gleichen vorhandenen Biomarker (messbare Parameter von biologischen Prozessen, die eine gewisse prognostische oder diagnostische Aussagekraft haben) und körperliche Gegebenheiten (Messgrößen wie Gewicht, Größe, Blutdruck, etc.) aufweisen, wirken nicht alle Behandlungen bei allen Patienten gleich gut. Deswegen wird ein personalisierteres Verfahren angestrebt, bei dem neben Grading und Staging weitere molekulare Biomarker und individuelle klinische Daten des Patienten für die Therapieentscheidung miteinbezogen werden.
Was bedeutet REVERT?
Die Abkürzung REVERT leitet sich von dem langen Titel “taRgeted thErapy for adVanced colorEctal canceR paTients” ab, zu deutsch „gezielte Therapie für Patienten mit fortgeschrittenem Darmkrebs“. REVERT ist ein internationales und von der EU gefördertes Projekt, welches 2020 startete und voraussichtlich Ende 2023 abgeschlossen wird. Spezialisierte Fachkräfte aus Italien, Spanien, Schweden, Luxemburg, Rumänien und Deutschland sind an dem Projekt beteiligt, wobei die Teams aus Ärzten, Pathologen, Biologen, Softwareentwicklern und Spezialisten der Künstlichen Intelligenz (KI) bestehen. Die BioVariance GmbH wird hierbei ihre Erfahrungen im Umgang mit Künstlicher Intelligenz zur Verfügung stellen und einige Softwarelösungen im Bereich des Maschinellen Lernens beisteuern.
Was ist das Ziel des Projekts?
Ziel des Projekts ist die Entwicklung einer umfassenden REVERT-Datenbank. Diese wird molekulare und klinische Daten von mehreren Hundert Patienten mit mCRC umfassen, die in den letzten Jahren eines der teilnehmenden Krankenhäuser in den beteiligten EU-Ländern besucht haben. Die generierte Datenbank wird anschließend als Basis für die Entwicklung neuer spezialisierter Modelle mit Fokus auf Maschinellem Lernen eingesetzt, um die Auswahl von personalisierteren Behandlungsmöglichkeiten für neue Patienten zu ermöglichen. Das trainierte KI-Modell soll dann zukünftig eine individuell passende Erstlinientherapie für jeden neuen Patienten vorhersagen, der bisher noch keine Krebsbehandlung erhalten hat. Zusätzlich zur Entwicklung der Modelle werden klinische Studien mit neuen Patienten durchgeführt, die sich dazu entscheiden, sich gemäß dem KI-basierten Ergebnis behandeln zu lassen. Diese prospektive Studie wird mit bereits zugelassenen und langjährig erprobten Chemotherapeutika durchgeführt, nicht mit neuen Medikamenten. Mit den KI-basierten Ergebnissen soll den Ärzten ein objektiverer Entscheidungsfaktor bereitgestellt werden, welcher frei von den subjektiven Einschätzungen des behandelnden Arztes ist. Darüberhinaus wird die Softwarelösung in einer speziellen App integriert, welche die Ärzte zusätzlich bei der Entscheidungsfindung unterstützen soll.
Was ist Maschinelles Lernen und wie wird es im Verlauf des Projekts eingesetzt?
Algorithmen des Maschinellen Lernens nutzen spezielle zugrundeliegende mathematische Modelle, um in den Patientendaten bestimmte Muster zu erkennen. Der primäre REVERT-Datensatz enthält Informationen zu diversen Krebsbehandlungsmethoden, Überlebensraten der Patienten und über 150 weitere molekulare und klinische Parameter von Hunderten mCRC-Patienten der letzten 10 Jahre. Die zugrundeliegenden mathematischen Modelle erlauben die Ableitung neuer Gesetzmäßigkeiten aus dem Datensatz, welche die Vorhersage eines Behandlungserfolgs für neue Patienten ermöglichen, deren Daten im primären Datensatz noch nicht vorhanden waren. Deswegen dient die Einspeisung des primären Datensatzes a) dem Trainieren und somit Generieren von neuen KI-Modellen und b) der Prüfung und Evaluierung der generierten Modelle. Zusätzlich können anhand der Modelle wichtige neue Parameter detektiert werden, die einen großen Einfluss auf die Vorhersage des Behandlungsergebnisses haben. So kann auch überprüft werden, für wieviele Patienten das Modell den korrekten Therapieausgang vorhergesagt hat.
Mit den Algorithmen von BioVariance werden bei REVERT spezielle Modelle entwickelt, die vorhersagen, ob und wie ein Patient auf diverse Chemotherapeutika ansprechen wird, die schon seit Jahren auf dem Markt zugelassen sind. Während des Projekts wurden bereits einige Chemotherapeutika von verschiedenen Ärzten klassifiziert. Die Medikamente, die als effektive Behandlungsoption bei mCRC eingeschätzt wurden, stehen nun als Behandlungsoptionen für den weiteren Projektverlauf zur Verfügung. Ein trainiertes KI-Modell soll aus diesen Chemotherapeutika nun die Erstlinientherapie auswählen, die für den individuellen Patienten die größtmögliche Aussicht auf Erfolg bietet.
Was ist der aktuelle Status des Projekts und wie geht es weiter?
Mittlerweile wurden bereits einige KI-Modelle trainiert und am primären Datensatz getestet. Das Modell von BioVariance und die Modelle von 3 anderen REVERT-Mitgliedern werden nun dazu genutzt, im Rahmen einer Phase 2 Studie, die im März diesen Jahres startete, die am besten geeignete Estlinientherapie für echte Patienten vorherzusagen. Die ersten Patienten werden auch bereits gemäß den KI-basierten Therapieempfehlungen behandelt.
Der Fokus liegt aktuell auf der Verbesserung der Algorithmen des Maschinellen Lernens, um so treffende Vorhersagen zu machen wie möglich. In naher Zukunft sollen die KI-Modelle auch in der REVERT-App integriert werden. Dies ermöglicht den Ärzten, Patientendaten direkt online hochzuladen und sofort eine bestmögliche und patientenbasierte Empfehlung zur Erstlinientherapie zu erhalten.
Dieser Ansatz ist ein weiterer wichtiger Schritt in Richtung Personalisierte Medizin. Riesige Mengen an Patientendaten werden intensiv analysiert, um die bestmögliche Behandlung auf Basis der individuellen molekularen Gegebenheiten des Patienten zu finden. Bei der herkömmlichen Vorgehensweise hingegen wurden die Patienten bisher oft einfach in Staging- und Grading-Gruppen zusammengefasst und entsprechend auf die gleiche Art und Weise behandelt. Diese internationale klinische Studie wird schließlich zeigen, ob ein personalisierterer Therapieansatz die Überlebensrate der Patienten entscheidend verbessern kann.